3 Jahre nach den rassistischen Morden in Hanau: Erinnern heißt Kämpfen

Am 19. Februar 2023 ist es drei Jahre her, dass ein Rassist in Hanau neun Menschen – Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin – ermordet hat. Seit nun 3 Jahren verhindert der Staat jede Aufkärung der rassistischen Morde. Die Angehörigen und Überlebenden müssen seitdem ununterbrochen selbst Aufklärungsarbeit leisten, Drangsalierungen in den juristischen Verfahren und Untersuchungen ertragen und Schikanen von Polizei und Politiker:innen über sich ergehen lassen.

Doch wenn wir auf den rassistischen Anschlag in Hanau schauen, müssen wir vor dem 19. Februar 2020 beginnen, denn die Mitschuld der Sicherheitsbehörden am rechten Terror in Hanau fängt schon vorher an. Mehrere Tage war das Bekennerschreiben voller rassistischer Verschwörungserzählungen bereits auf der Website des Täters online, bevor er bewaffnet insgesamt in drei Bars stürmte. Nachdem er am Hanauer Heumarkt drei Menschen erschossen hatte, fuhr er mit dem Auto Richtung Arena-Bar. Währenddessen versuchte Vili Viorel Păun, drei mal, den Notruf zu erreichen, doch kein einziges Mal nahm jemand ab. Er wurde wenig später erschossen, weil er den Täter verfolgte. Zuletzt tötete der Täter fünf Menschen und verletzte sechs weitere schwer in der Arena-Bar&Cafe in Kesselstadt. Dort waren die Notausgänge verschlossen – wie lange, das ist nicht bekannt, wohl aber der Grund: Um den Cops mögliche Razzien zu erleichtern. Als Treffpunkt junger migrantischer Menschen war die Arena Bar nämlich zuvor Zielscheibe rassistischer Schikanen der Cops. Zum Tatort kam schließlich auch das Frankfurter SEK, das im Juni 2021 sehr medienwirksam wegen rechter Chatgruppen aufgelöst wurde. Von den SEK-Beamten in Hanau waren 13 nachweislich in diesen Chatgruppen aktiv.

Noch in der Nacht des 19. Februar wurde die Respektlosigkeit gegenüber den Verstorbenen, Verletzten und Angehörigen der Ermordeten sichtbar: Die Überlebenden wurden, verletzt und traumatisiert, von den Cops alleine zur Polizeistation geschickt; Angehörige mussten stundenlang ohne Information zu ihren Angehörigen auf einer Polizeiwache weit weg vom Tatort verharren; die Obduktionen wurden teilweise ohne das Wissen und Einwilligung der Familien durchgeführt. Auch mit der psychischen Bewältigung des Anschlags wurden sie alleine gelassen.

 

3 Jahre später: Keine Aufklärung, keine Konsequenzen

Wie erwartet hat der Staat in den letzten 3 Jahren bewiesen, dass er kein Interesse an einer Aufklärung und Aufarbeitung der Mitschuld der eigenen Behörden am Anschlag hat.

Nahezu alle Informationen und Erkenntnisse der letzten drei Jahre sind durch eigene Nachforschungen und Initiativen der Angehörigen ans Licht gekommen – so wie die Studie, mit der belegt wurde, dass mehr Menschen überlebt hätten, wenn der Notausgang der Arena-Bar nicht verschlossen gewesen wäre. Obwohl mehrere Zeug:innen, darunter sogar Cops, bestätigten, dass der Notausgang an diesem Tag verschlossen war, wurde im August 2021 die Untersuchung dazu eingestellt und bleibt konsequenzlos.

Nach großem öffentlichen Druck erreichte die Initiative 19. Februar, bestehend aus Angehörigen und Überlebenden des rassistischen Anschlags, die Einberufung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Auch hier wurde der verschlossene Notausgang und die fehlgeschlagenen Notrufe zur Sprache gebracht und abgetan. Im Untersuchungsausschuss fallen die anwesenden Politiker:innen regelmäßig durch Desinteresse und respektloses Verhalten auf. Erst kürzlich lud Jörg-Uwe Hahn, Vizepräsident des hessischen Landtags, ehemaliger Justizminister und einziges FDP-Mitglied des noch laufenden Untersuchungsausschusses, zu einer Abendveranstaltung mit dem Titel „Zurück zu den Fakten“ ein. Dort forderte er ein Ende des Untersuchungsausschusses nach zwei Jahren mit den Worten: „Es muss gut sein. Es dürfen nicht immer wieder neue Fragen gestellt werden“.

Hier wird erneut sichtbar, dass weder staatliche Sicherheitsbehörden noch Politiker:innen ein Interesse an der Bekämpfung von rechtem, rassistischem Terror haben.

 

Hanau ist überall!

Auch wenn versucht wird, den Mythos des psychisch kranken Einzeltäters in Hanau aufrechtzuerhalten, wissen wir: Hanau ist und bleibt kein Einzelfall. Diese Morde reihen sich ein in die Kontinuität rassistischer Anschläge und Morde wie in Duisburg, Halle, Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen und Dessau. Rassismus ist fester Bestandteil dieser Gesellschaft und erwächst aus der kapitalistischen Ordnung, nach der dieser Staat organisiert ist. Dieser Einzeltätermythos entpolitisiert rechten Terror, nimmt geistige Brandstifter aus der Verantwortung und diskreditiert den notwendigen, selbstbestimmten Widerstand gegen Rassismus.

Rassismus dient dabei einzig und allein den Interessen des Kapitals. Er dient dazu, die lohnabhängige Klasse zu spalten und die verstärkte Ausbeutung migrantisierter Menschen zu rationalisieren. Entstanden ist Rassismus in der Zeit des Kolonialismus zur ideologischen Rechtfertigung der brutalen Ausbeutung der Menschen in den kolonisierten Gebieten, die als noch billigere Arbeitskräfte als die Arbeiter:innen in Europa dienen sollten. Auch heute noch dient Rassismus dazu, die verstärkte Ausbeutung unserer Klasse im globalen Süden zu rechfertigen.

Außerdem dient Rassismus heute dazu, die übermäßige Ausbeutung von Migrant:innen zu rechfertigen, die in besonders prekären Jobs mit niedrigem Lohn und schlechter Absicherung arbeiten. Rassismus äußert sich nicht mehr nur biologisch begründet, sondern auch häufig durch kulturelle Zuschreibungen. Zum Beispiel, wenn von sogenannten „Clan-Familien“ die Rede ist oder migrantisch geprägte Räume wie Shisha-Bars kriminalisiert werden. Das nutzen vor allem Rechte gerne, um eine künstliche Konkurrenz zwischen migrantischen und nicht-migrantischen Arbeiter:innen herzustellen und so die lohnabhängige Klasse zu spalten. Rassismus beruht dabei immer auf den materiellen Verhältnissen, auch wenn seine konkrete Ausprägung verschieden aussehen kann.

Rassismus lässt sich nicht beseitigen in diesem System, das ihn braucht, um weiterhin die verstärkte Ausbeutung von Migrant:innen zu rechtfertigen, unsere Klasse zu spalten und so die Produktionsverhältnisse aufrecht zu erhalten. Natürlich ist es wichtig und richtig, individuelle rassistische Einstellungen und Denkmuster zu bekämpfen. Aber das reicht nicht. Wirklich bekämpfen können wir Rassismus nur durch die Überwindung des Kapitalismus.

 

Polizei und Staat schützen uns nicht…

Rassismus ist Alltag in deutschen Behörden. Rassistische Praktiken und Strukturen sind dort allgegenwärtig und entladen sich in Racial Profiling, „Stammbaumforschung“ und schließlich in rassistischen Morden durch die Polizei. Dabei sind Cops nicht einfach nur überdurchschnittlich oft rassistisch. Die Funktion der Polizei ist es, dieses System zu schützen und das bedeutet vor allem, die kleinzuhalten und zu bekämpfen, die ein Interesse an der Überwindung des Systems haben. Es ist also nicht überraschend, dass sich massenweise Cops in rechten Chatgruppen herumtreiben, es ist nicht überraschend, dass jegliches Fehlverhalten der Polizei in Hanau verschleiert wird und es ist nicht überraschend, dass Polizei, Justiz und Verfassungsschutz ein Nährboden für rechtes und faschistisches Gedankengut sind, es schützen und es selbst verbreiten. Denn das Sein schafft das Bewusstsein. Neben der faschistischen Kontinuität in den deutschen Sicherheitsbehörden seit dem Faschismus an der Macht, schürt die Rolle der Cops in diesem System und damit ihr Verhältnis zu von Rassismus Betroffenen den Rassismus in den Behörden.

 

…migrantisch-antifaschistischen Selbstschutz aufbauen!

Die Polizei ist nicht da, um uns zu schützen, und sie schützt erst Recht nicht von Rassismus Betroffene. Das sieht man in Hanau daran, dass der Vater des Täters, der offensichtlich dessen extrem rechte Einstellung teilt, unbehelligt und ohne nennenswerte Konsequenzen die Eltern des ermordeten Ferhat Unvar zuhause terrorisieren kann und in der Grundschule in Kesselstadt androhen kann, es werde ‚bald etwas Großes passieren‘. Das überrascht uns nicht, zeigt uns aber zum wiederholten Male, dass wir uns bei unserem Kampf gegen Rassismus und beim Schutz vor rechten Angriffen nicht auf Staat und Polizei verlassen können. Wir müssen uns selbst darum kümmern!

Erinnern heißt nach wie vor Kämpfen, und im Gedenken an die neun Ermordeten in Hanau kämpfen wir weiter gegen Rechte und Rassist:innen. Der rechte Terror in Hanau zeigt uns, dass wir diesen Kampf konsequent und mit allen Mitteln, die uns angemessen scheinen, führen müssen, denn: Rechte und Rassist:innen setzten um, was sie androhen. Teil unserer Arbeit muss es sein, Rechten frühzeitig entgegenzutreten, ihre rassistischen Spaltungsversuche zu entlarven und zu verhindern. Gemeinsam mit migrantischen Selbstorganisierungen müssen wir dafür einstehen, dass der antifaschistische Kampf auch immer ein antirassistischer ist. Es gilt deshalb für uns als Antifaschist:innen, als und mit von Rassismus Betroffene(n) gemeinsam antifaschistischen Selbstschutz aufzubauen und migrantischen Selbstschutz zu unterstützen.